Gedanken zu Nachhaltigkeit und regenerativer Landwirtschaft
Das zehntausendste Mal etwas über Nachhaltigkeit zu lesen, langweilt viele vielleicht schon. Ein gefühlt alles vereinnahmendes Thema, das meistens nur sehr oberflächlich behandelt wird. Immerhin geht es um so viel mehr, als sich in einem kurzen Gespräch überhaupt unterbringen lässt, oder auf einer Website, denn die Aufmerksamkeitsspanne ist ja bekanntlich kaum länger als ein paar Sekunden. Außerdem gibt es noch so viel anderes über unsere Weine und unsere Arbeit zu berichten.
Für alle Terroir-bezogenen Winzer ist das Thema natürlich stets von zentraler Bedeutung und fließt deshalb in fast jede Entscheidung mit ein. Das sind Entscheidungen, die direkten Einfluss auf die spätere Qualität des Weines haben. Das macht die Sache deutlich komplexer, als sie für den Konsumenten auf den ersten Blick scheint. Die Verbraucher werden mit einer Vielzahl von Zertifizierungen und Green Labels konfrontiert, die alle dasselbe versprechen, aber auf ihre eigene Art. Dabei geht es nicht nur um den stets diskutierten Pflanzenschutz, der nur einen Bruchteil vom großen Ganzen ausmacht. Und eigentlich auch nicht um Zertifizierungen. Immer wieder werden wir gefragt, nach welchem „Regelwerk“ wir arbeiten, welche Maßnahmen wir ergreifen, um Nachhaltigkeit zu erzielen, ob wir biologisch zertifiziert sind (oder warum wir es nicht sind), wie wir zur Biodynamie stehen oder was denn eigentlich diese „Regenerative Landwirtschaft“ ist, auf die wir hinweisen. Das Thema ist also eindeutig in der zentralen Wahrnehmung der Konsumenten angekommen, und das ist auch gut so. Die Weingartenbewirtschaftung ist ein spannendes und unglaublich interessantes Thema, über das wir uns stundenlang austauschen könnten. Für alle, die sich die Zeit nehmen möchten, wollen wir unsere persönlichen Gedanken dazu in diesem „etwas längerem“ Blogbeitrag teilen. Eines vorweg:
Nachhaltigkeit muss individuell erzielt werden. Es gibt keine One-size-fits-all-Lösung.
Tatsächlich ist es wichtig, Zertifizierungen und Regelwerke, wie sie zuvor erwähnt wurden, auch kritisch zu hinterfragen – wie auch viele andere Dinge im Leben. Das ist besonders relevant, da wir uns unserer Verantwortung gegenüber dem Land, das wir bewirtschaften, bewusst sind und entsprechend handeln möchten. Grundsätzlich bedeutet jede Zertifizierung, dass man sich freiwillig in seinem Handlungsspielraum einschränkt und diverse Maßnahmen verpflichtend umzusetzen hat, und das unabhängig davon, in welchem Weinbaugebiet man arbeitet und was die individuelle Situation in den Weinbergen gerade erfordert. Manche haben einen natürlichen Vorteil, manche einen Nachteil. Manchmal macht es Sinn, manchmal vielleicht weniger. Manchmal ist es Vermarktungszwang oder Marktdruck, manchmal aber auch die Überzeugung, das Beste für seine Weingärten und seine Weine zu tun. Wie dem auch sei, das Thema Pflanzenschutz ist sicher eines der am meisten diskutierten in unserer Branche und kommt vielen als Erstes (und oft als einziges) in den Sinn, wenn sie sich mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Deshalb möchten wir hier ansetzen. Es folgen unsere Gedanken, die dazu dienen sollen, einen offenen Dialog anzuregen.
Pflanzenschutz
Die meisten sind sich einig: Wenn nachhaltig, dann Bio. In vielen Fällen besteht tatsächlich eine starke Korrelation. Selbstverständlich erfüllt jedes Regelwerk einen bestimmten Zweck. Es sollen nur jene Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommen, die vom jeweiligen Lizenzgeber auf Basis diverser Erkenntnisse als „akzeptabel“ eingestuft werden. Je nach Zertifizierung, der man sich unterwirft, sind das andere Mittel. Beim biologischen Pflanzenschutz etwa geht es darum, keine „naturfremden“ Mittel einzusetzen. Das finden wir im Großen und Ganzen gut, und das ist auch der Grund, warum wir selbst seit ein paar Jahren einen biologischen Pflanzenschutz praktizieren. Solange die Wetterbedingungen mitspielen, gibt es in der Regel keine Probleme damit, und es lässt sich eine Vielzahl positiver Aspekte hervorheben, die mit dieser Methode einhergehen.
Also, das Positive zuerst: Im Gegensatz zu konventionellem oder kontrolliert-integriertem Pflanzenschutz ermöglicht der biologische Pflanzenschutz (dessen Spritzmittel genauso chemisch aufbereitet sind) den Reben, etwas mehr für ihren eigenen Schutz zu tun. Durch den biologischen Pflanzenschutz sollen die natürlichen Abwehrmechanismen der Reben gestärkt werden, da sie dazu angeregt werden, eigene Abwehrstoffe zu produzieren. Obwohl es schwierig ist, dies eindeutig nachzuweisen, da auch hier versucht wird, Infektionen im Vorfeld zu verhindern, womit man den Reben die Arbeit also abnimmt, sollten sie so langfristig widerstandsfähiger gegen Krankheiten sein. Biologische Pflanzenschutzmittel hinterlassen in der Regel keine bedenklichen Rückstände in den Trauben (jedoch im Boden, dazu gleich mehr). Außerdem tragen sie weniger zur Entwicklung von Resistenzen bei Schädlingen und Krankheiten bei. Chemisch-synthetische Mittel können oft zu Resistenzen führen, was den langfristigen Schutz der Weinstöcke erschweren kann und weswegen diese in einer ganz bestimmten „Spritzfolge“ eingesetzt werden müssen. Biologische Spritzmittel sind non-invasiv, da eigentlich nur mit „Belagsmitteln“ gearbeitet wird und auch nur solche erlaubt sind. Es sind (seit 2014) also keine Spritzmittel zugelassen, die in den Saftstrom aufgenommen werden können und von innen, also systemisch, wirken. Die Krux bei Belagsmitteln: Die Triebe wachsen schnell und der Spritzbelag muss fast wöchentlich erneuert werden, was den Spritzaufwand deutlich intensiviert, die Böden durch häufige Durchfahrten stärker belastet und am Ende auch teurer kommt. Bei günstiger Wetterlage, also bei trockener Witterung, stellt das kein Problem dar, es ist ein absolut gutes und auch nachhaltiges System, mit dem sich die Erträge gut sichern lassen. Wenn wir allerdings mit einer schwierigen Wetterlage konfrontiert sind, sieht die Sache leider ganz anders aus. Wir haben großteils positive Erfahrungen gemacht, es gibt aber auch eine Schattenseite, die wir nicht schönreden wollen. Also, im Folgenden auch etwas Kritik:
Es ist Ende Mai 2024. Wir stehen morgens mit einem etwas mulmigen Gefühl auf. Die Wetterprognose: Regen, Regen, Regen. So war es schon die zwei Wochen davor, und so geht es anscheinend auch die nächsten Tage weiter. Noch dazu steht uns die heikelste Phase im Pflanzenschutz bevor, die Blüte. Wir müssen handeln. Wie schützen wir unsere Reben und unseren Ertrag? Wie gehen wir im Weingarten vor? Diese herausfordernde Wetterlage gab übrigens den Impuls zu diesem Beitrag. Der Regen, über den wir uns in den meisten Fällen freuen, kostet uns in der biologischen Pflanzenschutzsaison manchmal viele Nerven. Ob wir mit diesem System wirklich nachhaltiger arbeiten als die anderen, ist in dieser Situation tatsächlich fragwürdig. Warum? Zum einen wird der Pflanzenschutz meist mit dem Traktor ausgebracht, was bedeutet, dass der Traktor nun in einen völlig nassen Boden fahren muss, um die kurzen, trockenen Zeitfenster für das Spritzen auszunutzen. Der Arbeitsaufwand ist enorm, die Kosten sind hoch. Der Boden wird durch das häufige Befahren in ungünstigen Verhältnissen leider sehr stark verdichtet, das Bodengefüge wird großteils zerstört und das wichtige Bodenleben sowie das Wurzelwachstum enorm gehemmt. Das lässt sich nur schwierig und mit viel Aufwand und Zeit „reparieren“. Und auch wenn kaum ein Konsument daran denkt: Bei nachhaltigem Weinbau sollte es eigentlich um unsere Böden gehen. Kaum etwas anderes ist vergleichsweise so wichtig. In der Realität belastet der biologische Pflanzenschutz leider oft die Böden. Dabei sollte der Boden bestimmen, wie mit dem Weingarten umgegangen werden sollte. Sogar in den Gesprächen mit Kunden und Experten zeichnet sich eine Tendenz ab, in der das Thema Boden „übersehen“ wird. Das ist nicht unbedingt sinnvoll.
Kupfer
Der Traktor verdichtet mit einer Vielzahl an Durchfahrten nicht nur den Boden; hinzu kommt das Kupfer. In der biologischen und biodynamischen Landwirtschaft gibt es derzeit keine natürliche Alternative zu Kupfer als Fungizid. Es wird eingesetzt im Kampf gegen den falschen Mehltau, die für uns am schwierigsten zu bekämpfende Pilzkrankheit. Die Kupfer-Ionen müssen in ausreichender Anzahl auf der Pflanzenoberfläche verteilt werden, um jede Pilzspore zu erfassen und deren Auskeimung zu verhindern. Das Problem ist der Regen, der den Spritzbelag regelmäßig abspült, weshalb in regenreichen Wetterphasen Kupfer in großen Mengen zum Einsatz kommt. Aufgrund seiner chemischen Stabilität wird Kupfer nicht leicht abgebaut, sondern bleibt im Boden gebunden und reichert sich dort an. Im Laufe der Zeit nimmt also die Konzentration von Kupfer im Boden zu, insbesondere in den oberen Schichten, was aufgrund der ökotoxikologischen Eigenschaften des Schwermetalls langfristig sehr problematisch ist. Für Pflanzen ist Kupfer zwar ein lebensnotwendiges Spurenelement, das für die Photosynthese und viele andere wichtige Stoffwechselvorgänge benötigt wird, doch eine erhöhte Belastung kann auch zu Wurzelschäden oder absterbenden Blättern führen. Hohe Kupferkonzentrationen können außerdem das Bodenleben beeinträchtigen. Mikroorganismen und Bodenlebewesen wie Regenwürmer, die für die Bodenfruchtbarkeit wichtig sind, können durch erhöhte Kupferwerte geschädigt werden, das wurde umfassend untersucht (und wird auch weiter erforscht). Hohe Belastungen mit Kupfer werden ab einem Boden-pH-Wert unter 5 besonders kritisch, da dann die Verfügbarkeit von Kupfer stark ansteigt. Paradoxerweise ist Kupfer damit eigentlich nicht so einfach mit nachhaltigem Weinbau zu vereinbaren. Für den Bio- und Biodynamischen Weinbau ist es jedoch mangels Alternativen unerlässlich. Die EU hat die Zulassung daher verlängert. Aktuell dürfen durchschnittlich 4 kg Reinkupfer pro Hektar und Jahr ausgebracht werden. Die zulässige Dosis wurde in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach reduziert, was in manchen Weinbaugebieten problematisch ist, weil dort ein größerer Bedarf besteht. Weil Kupfer ökotoxikologisch höchst bedenklich ist, nimmt es einen der obersten Ränge auf der Liste ein, auf der die EU die zu substituierenden Pflanzenschutzmittel aufführt. Nicht umsonst gibt es im Weinbau auch eine Fraktion, die dem Kupfer berechtigterweise kritisch gegenübersteht und nicht zuletzt gilt es, auch die Landwirtschaft und die Konsumenten für das Thema Kupfer zu sensibilisieren. Weil fast alle Winzer davon abhängig sind, kann Kupfer aber nicht einfach so gestrichen werden. Solange es keine Alternative gibt, wird es uns als eines der wenigen wirksamen natürlichen Fungizide erhalten bleiben.
Obwohl es eigentlich eine Alternative gäbe, nämlich Kaliumphosphonat. Bedauerlicherweise wurde es 2014 abgeschafft, nach heftigem Lobbying aus weinbautreibenden Ländern im Süden, in denen sich prinzipiell eine trockenere Witterung vorfindet – vermutlich, um den Weinbau in unseren Breiten teurer und schwieriger zu machen, wodurch man sich marktrelevante Vorteile erhofft. Das natürlich in der Natur vorkommende Phosphonat dringt in den Saftstrom der Pflanze ein und wächst mit den Reben mit. Es schützt die Rebe von innen, daher die grandiose Wirksamkeit und daher auch das Verbot. Es wirkt natürlich und systemisch. In einer instabilen und schwierigen Wetterlage ließen sich dadurch nicht nur die Kupfermengen massiv reduzieren, sondern auch die Anzahl an Durchfahrten, was dem Boden, der Rebe und schließlich der Qualität sehr zugutekäme. Das wäre optimierter, naturnaher und ökologisch nachhaltiger Pflanzenschutz. Ein wirklich durchdachtes System würde eine solche Möglichkeit nicht einfach ausschließen und die teils großen Unterschiede in allen Weinbaugebieten Europas berücksichtigen. Warum ist das wichtig?
Es geht nicht ohne ökonomische Nachhaltigkeit
Im schlimmsten Fall kann das rigide Korsett der Bio-Zertifizierung in extrem ungünstigen Wetterverhältnissen zu einem hohen Ernteausfall oder einem Totalverlust führen. Diese scheinbare Paradoxie – intensiver Pflanzenschutz bei fallenden Erträgen – verdeutlicht die Grenzen eines nachhaltigen biologischen Weinbaus. Wenn die Trauben den diversen Pilzkrankheiten zum Opfer fallen, weil der Schutz ständig abgewaschen wird und nicht zeitgerecht erneuert werden kann, dann wird Weinbau bald unrentabel. Sprich, keine (kleine) Ernte bei vollem Aufwand, also der volle Einsatz von Ressourcen, auch finanziell. Das ist für uns tatsächlich das gewichtigste Argument, dass uns mit der Zertifizierung hadern lässt (obwohl sich langsam ein gewisser Marktzwang einstellt). Bio ist selbstverständlich nicht schlecht, das wollen wir damit nicht sagen, aber es ist eigentlich auch nicht der heilige Gral der Nachhaltigkeit, als das es gepriesen wird. Auch wenn es für mach einen kontrovers klingen mag, der Winzer sollte in Bezug auf Pflanzenschutz auf jede Situation so reagieren können, wie er es für notwendig hält, um Erträge zu sichern und die Böden zu schützen. Das schließt für uns demnach den Einsatz von einem Pflanzenschutzmittel wie Kaliumphosphonat, das eigentlich unbedenklich ist, nicht aus (es gibt aber slebstverständlich auch Pflanzenschutzmittel, die definitiv nicht zum Einsatz kommen sollten). Natürlich wird diese Debatte in der Winzerschaft aktiv geführt, davon bekommt der Konsument aber kaum etwas mit. Viele machen sich nun für eine Wiederzulassung stark. Es wäre eigentlich nur dieses kleine Schräubchen, an dem wir drehen müssten, um den biologischen Pflanzenschutz für eine Vielzahl von Winzern deutlich attraktiver und bewältigbarer zu machen. Und so hätte dieser dann auch einen echten Mehrwert für die Umwelt, die Konsumenten und die Winzer.
Für alle, die sich dafür interessieren, hier sind jene Mittel, die bei uns beim Pflanzenschutz zum Einsatz kommen:
- Netzschwefel
- Kupferhydroxid
- Kräuter- und Algenextrakte
- Kaliumhydrogenkarbonat (Backpulver)
- Kaliumphosphonat (bei nasser und herausfordernder Witterung)
- Kokosseife
- Orangenöl
Nachhaltigkeit weiterdenken
In Zeiten des Klimawandels, in denen Wetterextreme zunehmen, stellt sich für viele nun die Frage nach der wirklichen Nachhaltigkeit, die aber nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch gedacht werden muss. Eine nachhaltige Weinproduktion erfordert nicht nur den Verzicht auf synthetische, „naturfremde“ Chemikalien für den Pflanzenschutz, sondern auch eine Anpassungsfähigkeit, die den Erhalt der Ernte in widrigen Bedingungen und die Rentabilität sicherstellt. Und noch viel wichtiger, erfordert sie eine stärkere Hinwendung zum Boden (und zur Bodenbiologie) als zentraler Drehpunkt der Maßnahmen. Hier liegt die nächste Evolutionsstufe des nachhaltigen Weinbaus, und zwar nicht nur, weil ein guter Boden unglaublich viel CO₂ aus der Atmosphäre binden oder große Regenmengen speichern kann.
Es stimmt, als Konsument bringt eine Zertifizierung eine gewisse Sicherheit mit sich und das Vertrauen in das Produkt wird gestärkt. Solange der Wein zertifiziert ist, so die allgemeine Meinung, muss dessen Herstellung im Vergleich zur unzertifizierten Alternative auch weniger belastend für die Umwelt sein. In vielen Fällen mag das sogar stimmen, manchmal aber nicht, das wollten wir hier mal ansprechen. Nachhaltigkeit ist das Ergebnis einer Vielzahl von Maßnahmen. Es ist allerdings festzuhalten, dass die Bedeutendsten dieser Maßnahmen in der Bodenbewirtschaftung liegen. Ein Generalverdacht gegenüber „unzertifizierten“ Produzenten ist daher meist unangebracht, kurzsichtig und oberflächlich. Schwarze Schafe gibt es in allen Lagern. Speziell „Bio“ läuft derzeit Gefahr, zum bloßen Vermarktungstrend zu verkommen, ohne dabei auf wirklich nachhaltige, bodenverbessernde Praktiken Rücksicht zu nehmen. Aber wie gesagt, das Thema ist im Weinbau deutlich komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Zusätzlich ist es emotional beladen und voll von dogmatischen Ansichten, was den Dialog oftmals erschwert.
Regenerative Landwirtschaft – den Boden in den Fokus rücken
Der Pflanzenschutz steht in unserer Branche zur Zeit im Zentrum von Debatten. Worum es uns bei diesem Blogbeitrag aber eigentlich geht, ist es, den Fokus weg von Pflanzenschutzmitteln und Zertifizierungen hin zum Boden zu lenken. Dieser ist die eigentliche Grundlage für das gesamte Ökosystem Weingarten und damit der wichtigste Hebel in puncto Nachhaltigkeit (neben der Verpackung und dem Gewicht der Glasflasche übrigens…) und Qualität. Der Boden und seine Kohlenstoffkreisläufe sind durch uns steuerbar, gerade deswegen sollte er stärker ins Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung gerückt werden.
Ich glaube wir sprechen vielen Landwirten aus der Seele, wenn wir sagen, dass wir uns als Winzer auf unsere Weingärten konzentrieren wollen, auf alles, was sie brauchen, am besten ohne viel Bürokratie. Das macht den „regenerativen Weinbau“ als Bewirtschaftungsphilosophie noch attraktiver und effektiver. Hier geht es um einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem die Bedeutung eines gesunden Bodens im Mittelpunkt steht. Das System bezieht automatisch die Vielfalt klimatischer und geologischer Bedingungen in den unterschiedlichen Weinbaugebieten mit ein. Alle Maßnahmen werden individuell angepasst und zielen darauf ab, die Integrität des Bodens zu bewahren, der Pflanzenschutz selbst ist erstmal kein Thema. Die Herausforderung für eine Zertifizierung besteht darin, einen Rahmen zu schaffen, der Raum für Vielfalt lässt, gleichzeitig aber klare Leitlinien für regenerative Praktiken definiert.
Also, Regenerativer Weinbau bedeutet in erster Linie, seine Weingärten achtsam und aufmerksam zu bewirtschaften, zu beobachten und ein Verständnis für die natürlichen Prozesse zu entwickeln. Wir können dann mit kultivierenden Maßnahmen die Bodenlebendigkeit, die Artenvielfalt und auch die Rebgesundheit fördern. Dieser Zugang eröffnet die Möglichkeit einer tieferen Verbindung zwischen uns, unseren Reben und unseren Böden. Wir begegnen nicht einfach nur Schädlingen, Krankheiten und Unkräutern, sondern einem in sich schlüssigen System von Ursachen und Wirkungen, das wir nur besser begreifen müssen und durch unsere kultivierenden und ausgleichenden Kräfte behutsam aber wirkungsvoll beeinflussen können. Diese enge Beziehung zur Natur und das tiefere Verständnis um das Ökosystem Weingarten schaffen letztlich die Basis für jene überlegten Maßnahmen, die am Ende gesunde Böden und aromatische Trauben zum Resultat haben. Und diese Trauben sind es, die den Charakter ihrer Herkunft und die Bodenlebendigkeit am besten widerspiegeln und aus denen großartige Weine entstehen können.
Kollegialität und Wissensaustausch
Entscheidend ist für uns dabei auch der Wissensaustausch mit Kollegen. In der gerade die Verantwortung übernehmenden Winzergeneration spürt man ein hohes Maß an intellektueller Energie. Die meisten haben studiert, sind weit gereist und haben dabei viel gelernt. Sie haben die Möglichkeiten unserer Zeit genutzt. Das ist ein geniales Umfeld und Nährboden für viele positive Entwicklungen. Es werden Erfahrungen ausgetauscht, Best Practices und wissenschaftliche Erkenntnisse diskutiert und gemeinsam weiterentwickelt. So schwappen Ideen aus aller Welt in den eigenen Weingarten. Mit einer guten Portion Trial and Error meist erfolgreich. Am Ende beschäftigt eigentlich jeden von uns die Frage nach der idealen Bewirtschaftungsweise. Das war früher genauso wie heute. Im Vergleich zu damals haben wir heute allerdings einen großen Vorteil: Das Verständnis über die Wirkmechanismen in unseren Ökosystemen ist weit über das traditionelle Erfahrungswissen hinausgewachsen und wissenschaftlich fundierter. Vieles von dem, was unsere Vorfahren für den Erhalt der Bodengesundheit getan haben, ist auch aus heutiger Sicht schlüssig und sinnvoll. Andere Dinge wiederum, wie beispielsweise das tiefe Umpflügen der Erde, erwiesen sich im Lichte neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse als ungünstige Praktiken. Aus all dem gemeinschaftlichen Wissen und den Erfahrungen leiten wir am Ende unsere fein abgestimmte und individuell angepasste Strategie ab, welche sich im Kern aus einer Kombination von Kompostmanagement, Begrünungsmanagement, Bodenbelüftung und Landschaftsgestaltung zusammensetzt. Ein System aus intelligenten Maßnahmen, bei dem die ökologische wie auch die ökonomische Nachhaltigkeit gesichert wird. Keine Zwänge. Wir reagieren auf die Pflanze, den Boden und die Witterung. Davon sind wir überzeugt und dazu möchten wir in Folge ein paar Gedanken mit euch teilen, die bei der Pflege unserer Weingärten omnipräsent sind und die oben angesprochene regenerative Bewirtschaftungsstrategie beeinflussen.
Kultivieren = den Boden pflegen
Ein Teil unserer Aufgabe als Winzer besteht darin, unsere Weingärten zu kultivieren und in die Natur einzugreifen. Bei der regenerativen Landwirtschaft geht es uns darum, das natürliche Gleichgewicht möglichst wenig zu stören und eine Balance zwischen Natur und Kultur zu schaffen (oder wiederherzustellen). Dazu gehört das Verständnis, dass die Bodenfruchtbarkeit und das Bodenleben der Schlüssel zu einem sich selbst regenerierenden Ökosystem sind.
Gerade bei der Rebe drücken sich die Herkunft, die Lage, die Aktivität des Bodens und die Gesundheit der Pflanze in vielfältiger Weise in den Früchten und im späteren Wein aus. Als besonders anspruchsvolle Kulturpflanze braucht dei Rebe genügend Luft an den Wurzeln und ist eher empfindlich gegenüber verschiedensten Krankheiten. Umso wichtiger ist es, dass ein nährstoffreicher, lockerer Boden und ein gesundes und biologisch aktives Bodenleben für eine harmonische Ernährung sorgen, Stress mindern und die Resilienz der Weinstöcke fördern. Wir wollen die Reben in die Lage versetzen, sich die für ein gesundes Wachstum notwendigen Kräfte selbst aus dem Boden zu holen. Im Zusammenwirken von Pflanzen, Bodenorganismen und Mykorrhiza-Pilzen können alle notwendigen Nährstoffe vom Boden bereitgestellt werden und müssen nicht in Form von chemisch-synthetischen Kunstdüngern von außen zugeführt werden. Die mikrobielle Aktivität, die Porenraumschaffung und die Wasserhaltekraft des Bodens hängen direkt zusammen und sind über den Humusaufbau, als über den Kohlenstoffkreislauf, steuerbar.
Die erste Voraussetzung ist es, genügend Platz im Boden zu schaffen, damit Luft, Wasser und Wurzeln ihn durchdringen können. Bodenverdichtungen, wie sie etwa durch das Befahren mit dem Traktor entstehen können, können wir anhand einer Spatenprobe erkennen und diese dann „behandlen“. Das ist wichtig, denn verdichtete Böden leiden unter einem gestörten Luft- und Wasserhaushalt. Es fehlen dann ausreichend Hohlräume (= Bodenporen), in die der Regen zügig versickern und pflanzenverfügbar gespeichert werden kann. Die Bodenporen dienen aber auch den Bodenorganismen als wichtige Lebensgrundlage. Dieses Bodengefüge wird dann mit Hilfe von Wurzelausscheidungen und Bakterienschleimen weiter stabiliseren. In einem gesunden, fruchtbaren Boden finden wir lebendverbaute Gefügeformen (Krümelgefüge) vor, die durch diese mikrobielle Aktivität enstehen, sowie feinste Haarwurzeln und Pilzhyphen, die das Gefüge verstärken. Die Bodenstruktur ist eine dynamische Eigenschaft des Bodens, die wir stets im Blick behalten und an der wir stets arbeiten müssen.
Verdichtungen brechen wir alternierend alle ein bis zwei Jahre auf und wechseln die „Fahrgasse“ (jede zweite Zeile). Prinzipiell besitzten Reben ein nicht sehr fein verzweigtes, aber dafür sehr ausgedehntes Wurzelsystem, weswegen es besonders wichtig ist, dass der nährstoffreiche Oberboden durchwurzelt und genutzt werden kann. Tiefliegende Verdichtungen (tiefer als 30 cm) werden in der Regel bei der Neuanlage eines Weingartens mit einem nach unten stechenden Tiefenlockerer behandelt (ohne den Boden zu durchmischen). So können die Reben später ohne großen Widerstand tiefe Wurzeln ausbilden, was sie besonders in Trockenperioden weniger anfällig für Trockenstress macht. Unser Augenmerk gilt der Mittelkrume (10-30 cm Tiefe), die für die Pflanzenernährung essenziell ist. Dieser Unterboden wird von uns regelmäßig und zu bestimmten Zeitpunkten gelockert und mit den Feinwurzeln eines Begrünungsgemenges stabilisiert. Bei der Lockerung wird der Boden nicht gewendet oder durchmischt, das ist wichtig. Wir brechen ihn lediglich auf und heben ihn an, wodurch er in kleine Stücke zerbricht und viele feine Risse bildet, die relativ schnell von den Wurzeln einer Begrünungsmischung weiter aufgebrochen werden (und auch vom Winterfrost weiter „zersprengt“ werden). Die Wurzeln können so wesentlich leichter und schneller in den Boden eindringen und mit den Mikroorganismen und Pilzenmyzelen zusammenarbeiten, um Nährstoffe für die Rebe aufzuschließen und das Porengefüge zu stabiliseren.
Der biologisch aktivste Bereich des Bodens, die oberste Bodenschicht (5-10 cm), ist der einzige Bereich, der bei der Bodenbearbeitung durchmischt werden darf, und zwar wenn wir die bestehende Begrünung in die Muttererde einarbeiten. So wird die Integrität der Bodenhorizonte erhalten. Würden wir tiefer pflügen, würden wir die Mikroorganismen in tieferen Schichten ersticken. Sofort nach der Lockerung werden wieder Begrünungspflanzen eingesät, um den Boden „lebendig zu verbauen“.
Begrünung
Es ist gar nicht lange her, da waren viele Weingärten reine Erdflächen, in denen nichts Grünes wuchs, außer eben die Reben. Das kann man sich heute kaum vorstellen, aber auch hier haben neue Erkenntnisse zu einem Umdenken geführt. Die Begrünung, die wir heute anbauen, dient mit ihren schönen Blüten und unterschedlichen Pflanzenarten nicht nur der Biodiversität im Weinberg. Sie dient vor allem als Erosionsschutz, verbessert die Bodenstruktur und Wasserhaltekraft, beschattet den Boden und bildet eine gewisse Barriere zum Wind, was vor Austrocknung schützt. Außerdem können wir damit den Befahrdruck des Traktors abpuffern, wenn wir beispielsweise mit der Spritze hineinfahren. Pflanzenwurzeln und organische Kreisläufe sind auch maßgeblich am Aufbau der Porensysteme beteiligt, die für uns so essenziell sind.
Als Nahrungsangebot für das Bodenleben (Regenwürmer, Mikroorganismen, …) bildet die Begrünung die Basis für eine hohe biologische Aktivität und Nährstoffdynamik. Besonders wenn vielfältige Pflanzenwurzeln zur Verfügung stehen, fördern wir die Diversität des Bodenlebens, entscheidender Bestandteil eines fruchtbaren Bodens. Die Hauptmasse des Bodenlebens bilden Pilze und Pilzfäden (über 50%), hinzu kommen Bakterien, Würmer und andere tierische Lebewesen. In einem Kubikzentimeter fruchtbarer Erde leben bis zu 100 Millionen Mikroorganismen, das sind ungefähr 10 Tonnen pro Hektar. Diese Zahl hat auch uns erstmal erstaunt, als wir das erste Mal davon gehört haben. Das macht allso deutlich, welche Bedeutung die Vielfalt der Pflanzengesellschaft für das Bodenleben hat.
Bei der Zusammensetzung der Begrünungsmischung achten wir darauf, dass verschiedene Leguminosenarten, diverse Kräuter und auch ein kleiner Anteil Gräser enthalten sind. Besonders Leguminosen (Klee, Erbsen, etc.) sorgen für eine intensive Durchwurzelung und Anregung des Bodenlebens. Über Knöllchenbakterien fixieren sie nebenbei Stickstoff aus der Luft und machen ihn bei Bedarf pflanzenverfügbar. Der Stickstoff ist entscheidend für das Rebwachstum (und die spätere Vergärung, da auch die Hefe sich davon ernährt). Deswegen arbeiten wir mit einem hohen Leguminosen-Anteil. In unserer Begrünung finden sich sowohl Schnellkeimer, die den Boden schnell bedecken, als auch Langsamkeimer, die sich erst später im Jahr entwickeln, sowie mittelhohe und höher wachsende Pflanzen. Knapp die Hälfte unserer Begrünung besteht aus Tiefwurzlern, die auch die tieferen Schichten biologisch aufbrechen und belüften. Die Begrünung wird im Laufe der Vegetationszeit gezielt gestört, also gemulcht (gemäht) oder gewalzt, je nach Witterung. So setzen wir gezielt Nährstoffe im Boden frei, regenerieren diesen und fördern das Wachstum und die Gesundheit der Reben und des gesamten Ökosystems. Mit diesen Maßnahmen gelingt es uns, die Humusgehalte im Boden zu erhalten und auch zu erhöhen, was sich sehr positiv auf die Wasserspeicherfähigkeit auswirkt, denn 1% mehr Humus kann bis zu 430 m³ mehr Wasser pro Hektar speichern. Das wird in Zeiten von längeren Trockenperioden, wie sie der Klimawandel mit sich bringt, entscheidend sein. Hinzu kommt, dass dadurch auch Starkregenereignisse zu keinem Bodenverlust führen, da die Muttererde fixiert ist und durch die lockere Struktur einen Teil des Wassers auch aufnehmen kann. Wir machen unsere Weingärten zukunftsfit.
Biodiversität
Biodiverse Systeme haben nicht nur effektivere Nährstoffkreisläufe. Eine vielfältige und bunt blühende Begrünung lockt nützliche Insekten an, die Schädlinge auf natürliche Weise in Schach halten. Die Insekten wiederum locken Vögel und andere Kleintiere an, die ebenfalls von der erhöhten Nahrungsverfügbarkeit und den verbesserten Lebensbedingungen profitieren. Ein gesunder Nützlings-Kreislauf entsteht. Deswegen liegt es nahe, dass wir auch in den Randbereichen der Weingärten natürliche Lebensräume erhalten oder schaffen. Wir pflegen diverse Obstbäume, Böschungen, Hecken und Wildblumenwiesen, anstatt alles umzumähen. Bäume werden bewusst rund um den Weingarten gepflanzt und dienen uns hauptsächlich als Windschutz, was wiederum die Verdunstung im Weingarten reduzieren soll. Schritt für Schritt entstehen dabei Lebensräume für alles was kriecht, springt, fliegt und krabbelt. Ein ökologisches Gleichgewicht stellt sich ein. Wir haben Nistkästen installiert, um fast verschwundene und nützliche Vogelarten wieder anzusiedeln, wie Wiedehopf und Steinkauz (eine kleine Eule, die es uns als Weingut mit der Eule besonders angetan hat). In Zukunft sind auch Biodiversitätsinseln in unseren größeren Weingärten geplant. Darüber können wir bald berichten, sobald die erste Insel angelegt ist.
Besonders tiefgreifende und positive Auswirkungen auf die Biodiversität und die ökologische Stabilität im Weingarten hat auch der Verzicht auf Herbizide und Insektizide. Diese haben wir schon vor Jahrzehnten verbannt. Ohne den Einsatz dieser Gifte können sich natürliche Pflanzengemeinschaften und Insektenpopulationen ungehindert entwickeln und entfalten. Insektizide, die zur Kontrolle von Schädlingspopulationen verwendet werden, können selbstverständlich auch nützliche Insekten wie Bestäuber (z.B. Bienen, Schmetterlinge) und natürliche Feinde von Schädlingen (z.B. Marienkäfer, Florfliegen, Spinnen, Raubmilben) umbringen. Stattdessen setzen wir auf natürliche Nützlingspopulationen und natürliche Methoden wie das Ausbringen von Pheromonen (was im Kamptal kollektiv von der Winzerschaft prakziziert wird), mit deren Hilfe wir den Traubenwickler bekämpfen. Die Duftstoffe werden normalerweise von den Weinbchen abgesondert, um die Männchen zur Paarung zu sich zu lotsen. Die Raupen richten dann teils große Schäden an den Trauben an. Wir wollen diese Paarung also verhindern. Wegen der Pheromone im ganzen Weingarten findet das Männchen leider keine Weibchen mehr. Sorry.
Mit dem Verzicht auf Instektizide gedeiht also eine Nützlingspopulation, die Schädlingspopulationen auf natürliche Weise reguliert. Das Ökosystem wird dadurch resilienter und weniger anfällig für Schädlingsausbrüche. In Folge wird der Bedarf an chemischen Eingriffen weiter reduziert. Eine Win-Win-Situation.
Kompost
Ein Schlüsselaspekt der regenerativen Landwirtschaft liegt auch in der gezielten Ausbringung von hochwertigem Kompost (und Komposttees, um Mikroorganismen in den Boden einzubringen). Bei uns werden die organischen Abfälle, die bei der Produktion unserer Weine anfallen, wie Stiele, Schalen und Geläger (Trubstoffe), kompostiert. Mikroorganismen wie Bakterien und Pilze zersetzen das organische Material und wandeln es innerhalb einiger Wochen in humusreiche Erde um. Das Rebholz, das sich beim Rebschnitt in den Zeilen sammelt, wird nicht von uns kompostiert, sondern im Weingarten gehäckselt und später in den Boden eingearbeitet, um die Bodenstruktur zu verbessern.
Unseren Kompost bringen wir abwechselnd in verschiedenen Weingärten aus und rotieren so über mehrere Jahre durch alle Rebanlagen. Manche Weingärten erhalten etwas mehr, andere wiederum etwas weniger. Wir gehen auf jeden Weingarten individuell ein. Die Reben zeigen es uns während der Vegetationszeit (was auch beim Rebschnitt eine Rolle spielt). Auf diese Weise führen wir dem Boden einen Großteil der Nährstoffe, die wir bei der Ernte der Trauben entnehmen, wieder zurück. Gleichzeitig stabilisieren wir ihn und verbessern seine Struktur, die lockerer wird und eine bessere Wasserinfiltration und Wurzeldurchdringung ermöglicht. Durch die Erhöhung des Gehalts an organischer Substanz schaffen wir ausgeglichene Temperatur-, Feuchtigkeits- und Bodenluftverhältnisse und stimulieren die Aktivität der Bodenorganismen, die sich über den Nährhumus freuen und den Nährstoffkreislauf weiter aufladen. Die Nährstoffanreicherung und die Versorgung der Rebe sind natürlich zentrale Aspekte der Kompostwirtschaft. Als Folge eines mehrjährigen Einsatzes von Kompost und regenerativem Bodenmanagement wird der Boden in die Lage versetzt, selbst ausreichend Mineralstoffe für die gute Entwicklung der Reben zu liefern. Durch die Bereitstellung einer reichen Umgebung für Bakterien, Mykorrhiza-Pilze und Würmer trägt der Kompost zur Steigerung der biologischen Vielfalt im Boden bei. Besonders Mykorrhiza-Pilze sind interessante Akteure im Boden, die wir fördern möchten. Sie verbinden sich mit den Rebwurzeln und erweitern so deren Reichweite. Diese geniale Partnerschaft ermöglicht einen intensiven Austausch von Nährstoffen und Wasser zwischen den Pilzen und den Pflanzen. Die Mykorrhiza agiert gewissermaßen als verlängerter Arm der Wurzeln und verbessert dadurch die Nährstoffaufnahme und sogar die Trockenheitstoleranz.
Noch ein wichtiger Punkt: Das Ausbringen von Kompost und das Mehr an organischem Material reduziert die Mobilität und die Bioverfügbarkeit von Kupfer im Boden und kann so auch die negativen Auswirkungen auf das Bodenleben mildern. Das macht diese Praktik für Bio und Biodyn Weingüter in Bezug auf Pflanzenschutzmaßnahmen eigentlich unverzichtbar. Beim Abbau von Pflanzenrückständen wird ein Teil des Kupfers in die organische Substanz integriert. Kupferionen können sich unter anderem an organische Materialien wie Humus, Tonminerale und organische Kolloide binden. Auch die Mikroorganismen im Boden können das giftige Schwermetall immobilisieren, indem sie es in ihre Zellstrukturen einbauen oder es an Exsudate (Ausscheidungen) binden. Diese Exsudate sind übrigens auch verantwortlich für die krümelige Struktur guter Erde, die ein Zeiger für ein hohes Maß an biologischer Aktivität im Boden ist.
Landschaft gestalten
Woran erstmal niemand denkt ist, dass Landschaftsdesign ebenfalls eine entscheidende Rolle spielt. Durch eine durchdachte Gestaltung der Landschaft können natürliche Prozesse unterstützt und verstärkt werden, was zu einer erhöhten Bodengesundheit, Wasserhaltekraft und Biodiversität führt (oder Landwirtschaft überhaupt erst ermöglicht). Über die strategische Platzierung von Windschutzstreifen, Hecken und Baumpflanzungen zur Reduzierung von Bodenerosion und zur Schaffung von Mikroklimaten, die der Austrocknung entgegenwirken, haben wir oben bereits gesprochen. Der Bodenaufbau und das Wassermanagement sind zentrale Aspekte bei der Bewirtschaftung. Wasser ist ein kostbares Gut, deswegen macht es nur Sinn, es möglichst effektiv zu nutzen und nach Möglichkeit auch zu speichern. Mit Hilfe teils uralter Techniken wie dem Anlegen von Terrassen, konturierten Gräben und Teichen, können wir Regenwasser besser in der Landschaft verteilen und eben auch speichern. Alle Weingärten die wir so gestalten würden, wären prinzipiell resistenter gegenüber Dürre und Hitzeperioden. Das ist für Kollegen in diversen anderen Weinbaugebieten vielleicht weniger relevant, macht bei uns im Kamptal aber viel Sinn. Eigentlich sind wir mit durchschnittlich 450 Liter Regen pro Quadratmeter und Jahr ein eher trockenes österreichisches Weinbaugebiet. Das haben schon die Mönche im Mittelalter erkannt. Die haben unsere Landschaft im Grunde schon vor Jahrhunderten mit Terrassen optimiert. Zum Glück hatten sie viel Zeit. Eigentlich kennen wir die Vorteile von Terrassen seit der Antike. Die Mönche haben den Terrassenbau mit ihrem Wissen über Topografie, Hydrologie und Bodenkunde weiterentwickelt und verfeinert. Das wichtigste ist, dass Terrassen der Bodenerosion entgegenwirken. Erst dadurch konnte sich auf manch kargem Hang ein fruchtbarer Boden bilden. Heute sind diese Lagen bekannt für ihre herausragenden Weine, etwa der Heiligenstein. Mit Terrassen können wir auch verhindern, dass Wasser unkontrolliert die Hänge hinunterfließt und wertvollen Oberboden mit sich reißt. Außerdem kann das Wasser nun langsam versickern und ist länger verfügbar für Pflanzen und Bodenorganismen, die wiederum den fruchtbaren Boden weiter aufbauen. Ein intelligentes System, das seit Generationen Bestand hat.
Das Anlegen von Teichen ließe sich bei uns im Kamptal ebenfalls umsetzen, um abfließendes Regenwasser zu sammeln und über Bewässerungen wieder langsam in den Weingärten versickern zu lassen. Das ist ein Grundprinzip des Keyline-Systems, über das man viel Lesen wird wenn man sich mit regnerativer Landwirtschft beschäftigt. Es müsste als Projekt allerdings groß angelegt werden. Das ganze Gebiet müsste die Investition tragen, mitwirken und zusammenarbeiten, denn es sollte ausgeklügelt sein. Momentan bleibt es erstmal eine Vision, ein Projekt für die Zukunft. Eines Tages könnte es uns in besonders trockenen Jahren und bei niedrigen Wasserständen viele Vorteile bringen. Nicht nur, weil wir die Reben vor übermäßigem Trockenstress bewahren könnten, sondern auch, weil durch die Verteilung des Regenwassers und die langsame Verdunstung die ganze Landschaft gekühlt wird.
Handarbeit
Neben all den bodenverbessernden Maßnahmen, die wir setzen, ist auch die händische Rebstockpflege essenziell. Und zwar nicht nur, um später gesunde Trauben zu ernten, sondern vor allem, um die Durchfahrten mit schweren Maschinen auf ein Minimum reduzieren zu können. Auch so versuchen wir, den Boden als unser wichtigstes Gut zu schützen. Schneiden, Binden, Ausbrechen, Einstricken, Entblättern, Auslesen, Selektieren und Ernten. Das alles sind präzise und wohl überlegte Handgriffe, bei denen wir individuell auf alle Bedürfnisse der Reben eingehen können. Das wäre mit Maschinen einfacher und günstiger, aber für das Ökosystem Weingarten und die Qualität der Trauben sicher nicht besser. Das unterscheidet letztlich auch den handwerklichen Weinbau vom industriellen. Die Liebe zum Detail und der bewusste Mehraufwand versus die Produktion einer möglichst billigen Flasche Wein. Natürlich sollten wir auch über die Errungenschaften der Technik sprechen. Über all die Möglichkeiten, die moderne Geräte heute versprechen, um ökologische Nachhaltigkeit und Kosteneffizienz zu vereinen. Auch wenn moderne Erntemaschinen mittlerweile sehr gute Ergebnisse liefern, sind sie immer noch extrem schwer und zerstören das Bodengefüge in JEDER Zeile. Auch hier setzen wir lieber auf die händische Lese, bei der wir jede Traube am Stock selektieren können und bei der auch mehrere Lesedurchgänge möglich sind. So kommen wir zum besten Ergebnis, in jeglicher Hinsicht. Die Industrialisierung hat zwar längst Einzug gehalten in der Weinwelt, wir sehen Wein aber trotzdem noch als Handwerksprodukt mit Seele. Der Boden und die Natur sind hierbei unsere größten Verbündeten, das sollte aus diesem Beitrag (und aus DIESEM) klar hervorgegangen sein.
In vielen Weinregionen der Welt ist die Pflege der Weinberge und die Produktion von Wein eine Tradition, um die herum sich ganze Kulturen gebildet haben und die somit kulturelle und soziale Werte erhält. Die Arbeit aller Landwirte ist unglaublich wertvoll, das scheinen viele oft zu vergessen! Auch wenn es manchmal echt anstrengend ist, schafft Handarbeit Arbeitsplätze und fördert die lokale Wirtschaft. Auch das ist ein Mehrwert. Leider sind Mitarbeiter in unserer Branche heute nur noch schwer zu finden, selbst bei sehr guter Bezahlung. Sie kommen oft von weit her. Vielleicht wird gerade deswegen eine technologische Revolution eines Tages die Folge sein (müssen), mal sehen.
Abschließende Gedanken
Abschließend möchten wir betonen, dass auch die regenerative Landwirtschaft noch nicht auf alle unsere Fragen umfassende Antworten bereithält. Einige dieser Antworten existieren noch gar nicht oder sind unvollständig geklärt. Doch dieser Ansatz kommt unserem Verständnis von ökologischer (und ökonomischer) Nachhaltigkeit durch seine Flexibilität und die Loslösung von vorgefertigten Pfaden deutlich näher als alle anderen, die uns bekannt sind. Besonders wertvoll ist, dass diese Bewirtschaftungsphilosophie die Anwender befähigt, auf die individuellen Gegebenheiten eines Jahres und einer Region adäquat zu reagieren – dynamisch und adaptiv, unabhängig von starren und vorgedachten Regeln, aber mit einem tiefen Verständnis für die natürlichen Prozesse. Das stellt für uns einen signifikanten Mehrwert dar, einen, den wir in dieser Form in keinem anderen Bewirtschaftungssystem finden können und den auch leider viele gut gemeinte Zertifizierungen meist nicht vollständig ermöglichen (was nicht heißt das sie schlecht sind, aber eben auch nicht ideal). Am Ende liegt es natürlich am Anwender, zu entscheiden was zu tun ist und das Potenzial dieses Ansatzes voll auszuschöpfen.